Das Glückskonzept Ikigai
Die Papierkunst Origami, Porzellan kleben nach Kintsugi, Aufräumen mit Marie Kondo – Was heute in Japan Trend ist, begeistert morgen die Welt. Ein Grund mehr, die japanische Lebensphilosophie Ikigai genauer unter die Lupe zu nehmen, verspricht sie doch eine erfüllte Zukunft voller Sinnhaftigkeit.
Der Begriff Ikigai ist seit jeher fester Bestandteil der japanischen Kultur und besteht aus zwei Teilen: „Iki“ bedeutet „Leben“ und „gai“ wird unter anderem mit „Wert“ assoziiert. Wortwörtlich kann Ikigai mit dem Sinn oder Wert des Lebens übersetzt werden, kurzum: Wofür lohnt es sich, morgens aufzustehen? Dabei gibt es nicht nur eine Antwort auf die Sinnfrage, es sind eine Fülle von kleinen Elementen im Hier und Jetzt, die uns intrinsische Lebensfreude und echte Leidenschaft bescheren.
Ikigai lässt uns einen Blick in unser Inneres werfen und entdecken, welche Magie im achtsamen Wertschätzen der scheinbar selbstverständlichen Dinge liegt. Weiters zeigt es die inneren Reichtümer auf, die in widrigen Zeiten eine zündende Antriebskraft entfachen sowie die Bedeutung eines harmonischen Lebensstils in Einklang mit der Natur. Ikigai impliziert die Kraft der kleinen Schritte und die Loslösung vom Ego, das uns durch unrealistische Erwartungen unzufrieden und mürbe macht. Verbundenheit und Nächstenliebe stellen ebenso wertvolle Aspekte dar, begleitet vom täglichen Wissensdurst und liebevoller Selbstfürsorge.
Ikigai wurde in den 1960er Jahren populär, als Mieko Kamiya, die „Mutter der Ikigai-Psychologie“, zwei Punkte für ein erfülltes Leben definierte:
1. Ikigai-Quellen: Sie zeigen Menschen in Form von Objekten, erfreulichen Erinnerungen oder geliebten Personen, dass ihr Leben lebenswert ist. Das kann ein Spielzeug aus der Kindheit, jemand der Sie zum Lachen bringt oder ein Urlaubsandenken sein.
2. Ikigai-Gefühle: Dieser breit gefächerte Bogen, der sich von Trauer und Akzeptanz bis hin zu Dankbarkeit und Hoffnung erstreckt, stellt einen wichtigen emotionalen Kompass dar.
Um den Tag mit möglichst vielen Ikigai-Momenten zu füllen, spielt die bewusste Morgen-Routine eine tragende Rolle. Dabei geht es nicht darum, den Alltags-Wahnsinn unauthentisch auszublenden, sondern ganz gezielt den Blick auf das Nährende zu richten, damit unser Nerven-, Immun- und Hormonsystem reguliert und gestärkt wird.
Getragen wird Ikigai von sieben Bedürfnis-Säulen, es ist jedoch keine Voraussetzung, alle Bedürfnisse gleichzeitig zu bedienen. Viel zentraler ist es, mindestens eines zu erfüllen und die anderen durch kleine Impulse miteinzubeziehen.
Die Bedürfnisse nach
1. Lebenszufriedenheit
2. Wachstum
3. einer blühenden Zukunft
4. sozialen Beziehungen
5. Freiheit
6. Selbstverwirklichung
7. Sinnhaftigkeit
verlangen keine außergewöhnlichen Mammut-Aktivitäten, es ist die Summe der kleinen Dinge und sinnstiftenden Handlungen, die das Leben bereichern und uns helfen, Krisen besser gewappnet zu begegnen.
Jüngst hat Ikigai als Tool für Potentialentfaltung im beruflichen Kontext einen Hype ausgelöst, kristallisiert sich offenbar aus der Schnittmenge der Talente, Leidenschaften und Fähigkeiten sowie der Bedarfe und monetären Wertschätzung des Marktes unser „sweet spot“ heraus. Dabei geht es im ursprünglichen Ikigai nicht um den beruflichen Erfolg, also um das TUN, sondern eher wie wir SEIN dürfen, um in einen Flow-Zustand zu gelangen. Insofern lohnt sich ein prüfender Blick auf das gesamtgesellschaftliche Umfeld, da es eines gesunden, wertschätzenden Nährbodens bedarf, um zu erblühen. Wie eine Blume verwelken auch wir, wenn wir nicht entsprechend unserer Natur gedeihen dürfen.
Ikigai ist ein Orientierungsrahmen, um unser wahres Ich und die einzigartige Haltung mutig zum Ausdruck zu bringen. Werden Sterbende gefragt, was sie am meisten bereuen, so steht oft "Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben" an vorderster Stelle. Ikigai setzt genau hier an: Es geht um sinnhafte Tätigkeiten, persönliche Entwicklung und ein genussvolles Leben – wobei kleinste Dosen bei schwierigen Bedingungen das Zünglein an der Waage sind.
Ikigai Checkliste:
Auf einer Skala von 1-100: Wie zufrieden bin ich mit meinem bisherigen Lebensweg?
In welchen Bereichen möchte ich an Schräubchen für Veränderung drehen?
Was darf sich ändern, damit das wahre Ich zum Vorschein kommt?
Wer bin ich und zeige ich meine wahre Persönlichkeit?
Kenne ich meine Talente und Leidenschaften und setze ich sie ein?
Wann habe ich mit meinen Stärken überrascht und was fällt mir leicht?
Welchen aktiven Part haben meine Bedürfnisse bisher gespielt?
Welche Werte sind mir wichtig?
Habe ich Entscheidungen eigenständig getroffen oder wurde ich von anderen geleitet?
Spiegelt die berufliche Situation meine Interessen und Fähigkeiten wider?
Wenn Geld und Zeit keine Rolle spielen und es kein Scheitern gibt, was traue ich mich?